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Das 9-€-Ticket: Günstig, oder?

Obwohl ich mit der Bahn hadere, konnte mich meine Freundin davon überzeugen, das neue vergünstigte Ticket in Anspruch zu nehmen. Es sei schließlich günstig und mache sich bereits nach der ersten Fahrt bezahlt. Außerdem können wir damit ja nach Koblenz fahren, dann müssen wir nicht mit dem Auto dorthin fahren.

Was kann schon schiefgehen?

Die Reiseplanung ist vielversprechend: Die Reise geht nahezu ohne Umsteige von Duisburg nach Koblenz. Der Halt „Koblenz Stadtmitte“ liegt idealerweise direkt neben der Altstadt und nur einen Katzensprung vom Deutschen Eck entfernt. Obendrein haben wir kaum Gepäck dabei, es soll ja nur eine Tagesreise werden.

Für den Trip haben wir den RE5 auserkoren. Mit zwei Stunden Fahrzeit nach Plan macht ihn das ideal für unsere geplante Tour. Mit dem Auto soll die Fahrt etwas weniger lange dauern, doch betrachten wir die Autofahrt realistisch, kann man getrost fünfzehn Minuten draufrechnen, denn die Fahrt führt über den Kölner Ring.

Ein erstes Problem offenbarte sich uns bei der Überlegung, wie man denn am besten in den RE5 käme. Die Fahrt mit dem ÖPNV zur nächsten Haltestelle dieser Linie dauert geschlagene 95 Minuten. Mit dem Auto sind wir innerhalb von 15 Minuten am Bahnhof, ganz ohne wird es also nichts. Außerdem müssen wir noch Parkgebühren zahlen.

Die Mobilität der Zukunft

Was uns auch bewogen hat, den Regionalexpress zu nehmen: Die Linie RE5 gehört zu einem größeren Mobilitätsprojekt im Ruhrgebiet, dem Rhein-Ruhr-Express, auch RRX genannt.

Als wir noch mit der Bahn pendelten, sehnten wir moderne Züge herbei, uns ist jedoch vorher die Lust am Bahnfahren vergangen. So sind wir noch nie mit einem dieser neuen Triebwagen gefahren, denen sogar eine eigene Webseite gewidmet ist. Voller Neugierde wollten wir die Gelegenheit nutzen, die „neue Mobilität für NRW“ zu testen.

Schlechtes Omen

Unser Zug startete in Wesel und sollte Duisburg, also uns, laut Fahrplan nach 34 Minuten erreichen. Das hat nicht ganz geklappt, denn als wir Duisburg verlassen hatten, waren wir bereits fünfzehn Minuten hinter dem Fahrplan. Damit hatten wir um 10:40 Uhr, also außerhalb des Berufsverkehrs, nicht gerechnet.

Die Fahrt nach Koblenz war indes ohne besondere Vorkommnisse. Obwohl wir einen Sitzplatz ergattern konnten, fielen uns doch viele Personen auf, die sich auf die Treppen setzen mussten. Unerträglich voll wurde es jedoch nicht und auch die Toiletten funktionierten zumindest technisch. Auffällig ist nur, dass anscheinend niemand mehr die Tickets kontrolliert. Ob das nun am 9-€-Ticket liegt – wer weiß.

Ein schöner Tag in Koblenz

Wir haben einen schönen Tag in Koblenz verbracht und haben uns rechtzeitig zur Haltestelle „Koblenz Stadtmitte“ aufgemacht, um die Fahrt nach Hause anzutreten. Ich war mittlerweile etwas entspannter, denn die Hinfahrt lief ja ganz passabel ab.

Das vorhandene Dach an der Haltestelle bietet keinen Schutz vor der Abendsonne, die an diesem Tage unerbittlich auf die unvorbereitete Haut brannte. Doch als die Abfahrtszeit näherrückte, musste auch die hellste Kreideleiste den Schatten verlassen und auf dem Bahnsteig der Ankunft harren.

Nur der RE5 kam nicht. Nachdem der Fahrdienstleiter den RB26, den nachfolgenden Zug, vorgelassen hatte, kam nach mehr als 20 Minuten Verspätung endlich der RE5 an. Diese Verspätung war mehr als bemerkenswert, da der Zug erst in Koblenz startete. Wir hätten wortwörtlich die gesamte Strecke, welche der Zug bisher zurückgelegt hatte, in 20 Minuten laufen können.

Arsch in Tür

Noch bevor sich die Türen der Doppeltraktion (zwei Triebwagen zusammengekoppelt) öffneten, drang die Ansage ins Ohr „Bitte steigen Sie vorne ein, hinten ist voll“.

Wir waren erschöpft vom Sightseeing, durstig und ein bisschen bräsig, da wir nun fast eine halbe Stunde in der prallen Sonne verbracht haben, aber nun dämmerte es uns: Die Rückfahrt wird wohl nicht so spaßig.

Während wir zu den vorderen Türen trabten, überlegten wir uns, wie lustig die Fahrt wohl im Stehen würde. Hier half uns die Erfahrung aus unseren Tagen als Berufspendler im Ruhrgebiet: Glücklicherweise waren wir unter den ersten Reisenden, die ein paar Handtaschen von Ihren Plätzen verwiesen haben. Die Besitzer schauten ein wenig traurig und verwundert (Nein, wir wollen nicht stehen), doch auf diese Weise konnten wir zwei Sitze ergattern. Wir saßen zwar nicht zusammen, aber immerhin.

Der Tumult legt sich und nach einigen Minuten ist aus den Gesichtern die Frage abzulesen: „Warum fahren wir nicht los“? Die Frage wird umgehend durch den Lokführer beantwortet: Man möge den schließenden Bereich der Tür freimachen, sonst würde noch mehr Verspätung verursacht.

Auf Deutsch: „Nimm den Arsch aus der Tür, sonst geht es nicht weiter“.

Zumindest geht die Klimaanlage.

enfant perdu

Die Fahrt lief mit gepresster Stimmung weiter, dennoch war es auffällig, dass der Zug häufig an roten Signalen Halt machen musste. Der Fahrdienstleiter hatte den RE5 offenbar bereits aufgegeben: Vielleicht ließen sich ja noch andere Linien retten.

In Köln hatten wir nahezu eine Stunde Verspätung zusammen. Die Stunde Verspätung wurde in Köln-Mülheim dann vollgemacht, wegen „besonderer Vorkommnisse“. Hinterher hat der Lokführer bekannt gegeben, dass eine randalierende Person von der Bundespolizei abgeholt werden musste.

Während wir auf die Weiterfahrt warteten, stellte meine Freundin fest, dass eine Warnung in der App angezeigt wurde, es gebe Störungen auf der Strecke, sowie eine Umleitung. Wir stellten fest, dass sich die Anzeige innerhalb des Zuges ebenfalls veränderte: Der Halt „Leverkusen“ verschwand leise weinend.

Unser Lokführer war sehr informativ. Ernsthaft, er war gut: Hatte er Neuigkeiten für die Reisenden, ist er auch damit herausgerückt und hat nicht nur den Bullshit mit den „Störungen im Betriebsablauf“ vom Band gelassen. Kudos an „National Express“.

Für die Mitreisenden, die nach Leverkusen wollte, hatte er allerdings keine guten Tipps parat. Dieser Halt wurde gestrichen, wegen einer Störung, der Zug werde umgeleitet. Und so fuhren wir durch den Bahnhof Leverkusen hindurch, auf einem Gleis ohne Bahnsteig.

Hätte ich dort aussteigen wollen, wäre ich wahrscheinlich auch von der Bundespolizei abgeholt worden.

Fahrkartenkontrolle

Nach nunmehr 2,5 Stunden im Zug, der Wartezeit im Bahnhof und alledem hat es mich nun erwischt: Ich bin bereit meinen Sitzplatz zu riskieren und eine Toilette aufzusuchen. Ein kurzer Spaziergang offenbart, dass alle Toiletten defekt sind, zumindest das Symbol dafür ist auf allen Anzeigen zu sehen und die Türen sind verriegelt.

Ich verziehe mich zurück zu meinem Sitzplatz und habe Glück, dass dieser nicht in Beschlag genommen wurde. Plötzlich ertönt eine Durchsage von unserem Lokführer. Mittlerweile sind alle Reisenden konditioniert: Da kommt meist nichts Gutes.

Der Gong ertönt und die Reisenden werden gebeten, einem Notruf aus einer der Toiletten nachzugehen. Der Lokführer habe keine Möglichkeit, diesem Hilferuf anderweitig nachgehen zu lassen, es befände sich keine Zugbegleitung an Bord. Na ja, das erklärt, warum es keine Fahrkartenkontrolle gegeben hat.

Wir werden noch mit den Worten motiviert, dass der Zug, wenn der Zugführer sich selbst kümmern müsse, sich noch mehr verspäten werde.

Die Toiletten in unserem Zugteil können es wohl nicht sein, außerdem ist es für uns zu spät, wir haben endlich unser Ziel erreicht.

Für uns war es das

Das 9-€-Ticket soll Haushalte entlasten, die durch die erhöhten Energiepreise besonders betroffen sind. Dieses Ziel mag erreicht werden.

Dem ÖPNV erweist dieses Ticket jedoch einen Bärendienst. Denn Bus und Bahn waren schon vorher nicht hinreichend ausgebaut, um gegenüber dem Individualverkehr bestehen zu können und das 9-€-Ticket bietet nicht Mobilität für mehr Menschen, sondern nur mehr Menschen für eine bereits ausgelastete Infrastruktur.

Dass die Züge und Busse nun überfüllt werden, die Fahrgäste noch später ans Ziel gebracht und Fahrpläne noch schlechter eingehalten werden, wird dem Nahverkehr keine neuen Fans bringen. Schlimmer noch: Langjährige Pendelnde werden vielleicht durch diese Situation aus den Öffentlichen verdrängt und bleiben beim Auto.

Ein grundlegendes Problem wird der Schienenverkehr ohnehin nicht los: Wird ein Zug umgeleitet, erhöht sich die Reisezeit für die Betroffenen um Stunden. Unser Regionalexpress hat wegen einer solchen Umleitung ganz Leverkusen verpasst, obwohl wir am Bahnsteig nur in drei Metern Entfernung vorbeigerollt sind.

Wer sich dieser Tage ein 9-€-Ticket antut, wird die Öffentlichen später meiden, wie der Teufel das Weihwasser. Läuft die Subvention des Nahverkehrs im September wieder aus, werden wir wieder mit dem Auto fahren. Man könnte sagen, weil wir es uns leisten können. In Wahrheit ist der öffentliche Nahverkehr teurer als ein Auto, je nachdem wie viel euch die verlorene Lebenszeit wert ist.

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